Es gibt für ADS / ADHS Kinder in der heutigen Schulwelt einige Rahmenbedingungen und Arbeitsanforderungen, welche den Schulalltag für diese Kinder sehr erschweren. Im Folgenden werden einige davon aufgeführt, da sie eine sehr nachhaltige Wirkung auf das ADS / ADHS Kind haben.
Schleichdiktat
Unter einem so genannten Schleichdiktat, auch Laufdiktat genannt, versteht man einen Text, der im Klassenraum oder auch auf dem Flur an bestimmten Stellen hinterlegt oder aber aufgehängt wird. Günstigstenfalls gibt es mehrere Ausfertigungen des Textes, damit nicht 30 Kinder vor einem Blatt Papier stehen. Nun müssen die Kinder ihren Platz verlassen, sich einen Teil des Textes, in der Regel ein Satzfragment, einprägen, ihren Platz wieder aufsuchen und den eingeprägten Text zu Papier bringen. Dieses sollte natürlich in korrekter Rechtschreibung und Zeichensetzung erfolgen, da es sich ja bei der Übung bzw. Arbeit um ein Diktat handelt. Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass es sich nur um eine Abschreibübung handelt und man somit Rechtschreibfehler sicher ausschließen kann. Auf ein ADS / ADHS Kind trifft diese Annahme mitnichten zu. Zwar hat das hyperaktive Kind die Möglichkeit zur Bewegung, jedoch haben ca. 30 andere Kinder genau die gleiche Möglichkeit und es kommt nicht selten zu Rangeleien und Unruhe. Zwar sagt das Wort Schleichdiktat aus, dass es sich um eine stille Übung handelt, wer jedoch schon einmal erlebt hat, wie 30 Kinder gemeinsam durch eine Klasse schleichen, wird einsehen, dass hier von Ruhe nicht die Rede sein kann. Das ADS / ADHS Kind hat ohnehin schon Probleme sich zu konzentrieren. Jetzt muss es sich auch noch einen Text merken der irgendwo hängt, seinen Platz wieder aufsuchen, erneut Ruhe finden um den Text richtig zu Papier zu bringen und dabei möglichst ausblenden, dass die halbe Klasse auf Wanderschaft ist, um sich den benötigten Text einzuprägen. Dann beginnt die Prozedur von neuem, bis der Text komplett erfasst ist. Das Ganze wird begleitet von Zeitdruck und dem Wissen, dass die Arbeit mit einer Note versehen wird und somit Einfluss auf das Zeugnis hat. Diese Situation ist für ein ADS / ADHS Kind schlichtweg nicht zu meistern. Kommt jetzt noch eine Lese- Rechtschreibschwäche hinzu, ist das Fiasko vorprogrammiert.
Freiarbeit
Früher fand sich das Instrument der Freiarbeit nur an reinen Montessorischulen. Inzwischen gibt es viele Regelgrundschulen, die in Anlehnung an die Lehren von Maria Montessori arbeiten. Ein nicht unerheblicher Teil der Schulstunden wird aus diesem Grund nun der Freiarbeit gewidmet. Diese hat nicht den Hintergrund, dass die Schüler tun und lassen können was sie wollen. Sie haben durchaus Vorgaben in Form von Tages- oder Wochenplänen. In diesen Plänen wird festgelegt, welche Arbeiten das Kind innerhalb eines klar definierten Zeitraumes zu erledigen hat. Des weiteren stehen in den Plänen auch Aufgaben zur Verfügung, welche zusätzlich freiwillig erledigt werden können. Die benötigten Materialien stehen den Kindern meist in so genannten “Werkstätten” zur Verfügung. Dieses können Ordnungssysteme sein, in denen sich die entsprechenden Arbeitsblätter und Materialien befinden, zwischen denen die Kinder entsprechend ihrer Pläne dann wählen können. Hier müssen sich die Kinder also bei jedem neuen Thema erst einmal einen erneuten Überblick verschaffen. Soweit die Theorie. In der Praxis bedeutet das für ein ADS / ADHS Kind, je länger die “Laufzeit” eines solchen Planes ist, umso unübersichtlicher wird er für das Kind. Das ADS / ADHS Kind hat ohnehin schon Probleme sich selbst zu organisieren und soll nun frei entscheiden was es wann macht. Schnell verliert es den Überblick über die Aufgaben, kann nicht mehr entscheiden welche Aufgabe nun wichtig ist und welche nicht so sehr und es verliert den Überblick über die zur Verfügung stehende Zeit. Kommen jetzt noch bereits erledigte Aufgaben durch den Lehrer zum Kind mit der Bitte um erneute Bearbeitung zurück, ist es um jegliche eventuell erfolgte Zeitplanung geschehen und das Kind steht den Anforderungen hilflos gegenüber. Erfolgen nun auch noch Ermahnungen die Arbeitspläne bis zum “Ende der Woche” zu beenden und abzugeben, kapituliert das ADS / ADHS Kind nicht selten und verzweifelt schlichtweg. Kontinuierliche Hilfestellung des Lehrers bei der Organisation eines Freiarbeitsplanes und Ermutigung zum Arbeiten sind hier dringend von Nöten, damit das ADS / ADHS Kind mit der Zeit selbst lernt, mit dem Instrument der Freiarbeit erfolgreich zu arbeiten. Hier ist ausdrücklich Geduld und Verständnis gefordert, da ein ADS / ADHS Kind nicht in der Lage ist in der gleichen Schnelligkeit wie andere Schüler die Methoden umzusetzen.
Raumgestaltung des Klassenzimmers
Besucht man heute eine Grundschule, so ist man in der Regel überwältigt von der farbenfrohen Ausgestaltung der Flure und der Klassenzimmer. An jedem freien Stück der Wand werden Bilder ausgestellt, Plakate zu den unterschiedlichsten Wissensgebieten präsentiert und Regelplakate zur Verfügung gestellt. Nicht selten gleicht der hintere Teil des Klassenraumes einem kleinen Wohnzimmer mit gemütlicher Sitzbank, Kissen, Tischchen und mehreren Regalen mit bunten Bücher. Diese Leseecken können in der Freiarbeit von den Kindern genutzt werden und sind meist sehr beliebt. Sicher ist das alles sehr ansprechend und man hat als Elternteil erst einmal das Gefühl, dass Kinder sich in so einer Umgebung sicher wohler fühlen, als in den recht sterilen Klassenräumen ihrer eigenen Kindheit. Betrachtet man aber nun das große Überangebot an Reizen mit den Augen eines ADS / ADHS Kindes so wird schnell deutlich, dass hier die totale Reizüberflutung droht. Das Kind weiß gar nicht mehr wo es noch hinschauen soll. Ständig ist es neuen Reizen ausgesetzt. An Konzentration ist nicht zu denken, wenn man doch die hübschen Bilder aus der Kunststunde betrachten kann, die Bücher in der Leseecke locken oder die Plakate über die Dinosaurier doch viel interessanter sind als die Mathematikstunde. Sicher betrifft das alle Schüler, jedoch sind nicht ADS / ADHS betroffene Kinder in der Lage zu filtern und Reize auszublenden. Diese Fähigkeit haben ADS / ADHS Kinder aufgrund ihrer Wahrnehmungsstörung aber nicht. Daher ist der Sitzplatz eines ADS / ADHS Kindes im Klassenraum wieder mal von entscheidender Bedeutung. Nur wenn der Lehrer bemerkt, dass das Kind abgelenkt ist, kann er es in das eigentliche Geschehen zurückführen. Häufig fällt hier einfach auf, dass das Kind zwar körperlich anwesend ist , aber sich ansonsten in seiner eigenen Welt befindet.
Verschiedene Klassenräume
An weiterführenden Schulen haben die Kinder, anders als an den Grundschulen, meist eine Vielzahl von Klassenräumen. Jedes zweite Fach wird in einem anderem Raum unterrichtet. Hinzu kommt, dass viele weiterführende Schulen zum so genannten Lehrerraumprinzip übergehen. Das bedeutet, dass die Klasse keinen eigenen Klassenraum mehr hat. Vielmehr hat jeder Lehrer einen eigenen Raum. Die Schüler gehen also zum Lehrer, nicht der Lehrer zu den Schülern. Sicherlich ist ein wenig Bewegung zwischen den einzelnen Stunden ein guter Ansatz und kann gerade für ADS / ADHS betroffene Kinder von Vorteil sein, jedoch wird dieser Bewegungsvorteil für den ADS / ADHS Betroffenen gleich wieder zunichte gemacht, da er sich in jeder Stunde in einem neuen Klassenraum orientieren muss, womöglich einen anderen Nachbarn hat und natürlich auch der Sitzplatz verändert ist. Sicher wird sich der betroffene Schüler im Laufe eines Schuljahres an die Situation gewöhnen. Allerdings benötigt er hierzu wieder deutlich mehr Zeit als seine Klassenkameraden und ist zu Beginn eines Schuljahres alleine schon durch diese neue Eingewöhnungsphase sehr unruhig.
Lehrerwechsel
In den Grundschulen ist das Problem wechselnder Lehrer in der Regel noch nicht so groß. Meist hat der Klassenlehrer den Hauptanteil an den Unterrichtsstunden und wird durch Musik- ,Sport- und Kunstlehrer ergänzt, wenn er diese Stunden nicht selbst erteilt. Alle Lehrer des ADS / ADHS Kindes sollten optimalerweise mit der ADS / ADHS Problematik des Schülers vertraut sein. Im Idealfall ergänzen sich hier alle und es gibt eine Zusammenarbeit auf breiter Basis. Leider ist dieser Idealfall nicht immer anzutreffen. Es besteht durchaus die Möglichkeit dass der Klassenlehrer dem ADS / ADHS Problem aufgeschlossen gegenüber steht, jedoch ein Fachkollege eine grundlegend andere Einstellung vertritt. Hier ist dann die Notwendigkeit von Gesprächen klar gegeben. An weiter führenden Schulen haben die Schüler oft mehr als zehn verschiedene Lehrer. Auch hier sollten die Eltern Gesprächsbereitschaft signalisieren für den Fall, dass Probleme auftreten. Wenden sich die Lehrer dann nicht an das Elternhaus, kann man davon ausgehen, dass die Situation für den Lehrer überschaubar ist. Der ADS / ADHS Schüler wird auch hier einige Zeit benötigen, bis er sich an die einzelnen Lehrer gewöhnt hat, zumal diese unter Umständen nur eine einzige Stunde in der Woche in der Klasse unterrichten. Da kann es durchaus schon mal vorkommen, das das ADS / ADHS Kind selbst nach 4 Wochen noch nicht genau weiß, wie denn nun der Politiklehrer richtig heißt, geschweige denn wie sein Name geschrieben wird. Das ist jedoch kein Grund zum Verzweifeln, irgendwann weiß das Kind den Namen und hat sich eingewöhnt. Es dauert halt eben etwas länger und es ist auf keinen Fall böse gemeint oder ein Zeichen von Desinteresse.
Kurssystem
Das in den weiterführenden Schulen anzutreffenden Kurssystem nach erfolgter Differenzierung, bringt die gleichen Schwierigkeiten mit sich wie bereits unter den oben angeführten Punkten aufgeführt. Hier kommt als zusätzlicher Punkt zum Tragen, dass sich auch die Zusammensetzung der Klasse bzw. des Kurses je nach Unterrichtsfach ändert und der ADS / ADHS Betroffene somit eine zusätzliche Orientierung benötigt.